1.         Jesu Esel[1]

Der Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel steht am Anfang der christlichen Passionsgeschichte. Im Evangelium nach Matthäus (21,1ff.) befiehlt Jesus zwei seiner Jünger: „Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir! Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist: ‚Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers.’“ Matthäus erinnert hier an die Aussprüche des Propheten Zacharias (Sach 9,9). Damit spielt er auf den von diesem geweissagten Messias an, der allumfassenden Frieden bringen würde, wie es weiter heißt (Sach 9,10): „Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde.“ Matthäus fährt fort: „Die Jünger gingen und taten, was Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf.“ Für den sich an Judenchristen wendenden Evangelisten war es wichtig, die Beziehung zu den Aussprüchen des Propheten Zacharias herzustellen. Dagegen steht im frühesten Evangelium des Markus geschrieben, wie Jesus seine Jünger anweist, ihm einen jungen Eselhengst zu bringen, „auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat“ (Mk 11,2). Unabhängig von der Frage, ob Jesus nun auf einem Esel, einer Eselin oder deren Fohlen Einzug in Jerusalem gehalten hat, mussten die Zeitgenossen diese Handlung vor dem Passahfest als revolutionär, Jesu innerjüdische Gegner als provozierend empfunden haben.[2] Dem Esel kam dabei aus urchristlicher Sicht möglicherweise die zusätzliche Funktion zu, eine politische Dimension dieser Messiasdemonstration abzumildern, weil ein triumphaler Einzug in Jerusalem seinerzeit Repräsentanten der römischen Besatzungsmacht wie dem jeweiligen Präfekten vorbehalten blieb.[3] Über das weitere Schicksal der Tiere wird nichts berichtet. Allerdings erwähnt der bedeutende persische Dichter und islamische Mystiker Sa’adi im 13. Jahrhundert n. Chr. Jesu Esel. In seiner „Rosengarten“ genannten Sammlung von Geschichten und Anekdoten, die er häufig humorvoll erzählt, ist er, als er über den „Einflusse der Erziehung“ nachdenkt, zu folgender Erkenntnis gelangt:
„Der Esel Jesu, bringt man ihn nach Mecka,
Wird, wenn er heimkehrt, doch ein Esel bleiben.“[4]
 



[1]
Johannes Grützke, Jesu Esel, 1992; Lithographie mit Kreide; 80 x 58,7 auf 85,5 x 65,5 cm; Auflage: 40; WDLG272. Siehe Ladengalerie (Hg.) (1998): Grützke Druckgraphik 1978-1998
300,-€ zuzüglich Versandkosten.

[2] Dazu U.Luz (2002): „Warum zog Jesus nach Jerusalem?“
[3] Vgl. J.D.Crossan (1996): Jesus, S.170.
[4] Sa'adi (1864): Der Rosengarten, S.221.


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2.         Richard Wagner bei seinen Müttern[1]

Richard Wagner kommt unter den Komponisten eine Sonderstellung zu, weil er wie kaum ein anderer seine Gedanken nicht nur in musikalischem Schaffen ausgedrückt, sondern auch in einer ihrem Umfang nach einzigartigen literarischen Produktion dargelegt hat. Erinnert sei an seine antisemitischen Äußerungen in dem zuerst 1850 publizierten Aufsatz „Das Judenthum und die Musik“. Sie führen bis heute in Israel zu Diskussionen um die Aufführbarkeit seiner Werke.[2] Dagegen gilt Wagners zur gleichen Zeit im Zürcher Exil verfasster und 1852 veröffentlichter kunsttheoretischer Essay „Oper und Drama“ als programmatische Schrift, in der er sich auf die Suche nach der idealen Kunstform begibt.[3] Gemäß der Gliederung seiner umfangreichen Abhandlung versucht Wagner zunächst anhand der Oper das „Wesen der Musik“ zu ergründen, bevor er sich dem Schauspiel als „Wesen der dramatischen Dichtkunst“ zuwendet. Davon ausgehend glaubt er beides – Dicht- und Tonkunst – im „Drama der Zukunft“ aufgehoben zu sehen. Entsprechend vertritt er die Ansicht, nach welcher ihn – in der Darstellung Johannes Grützkes – die „Mütter“ Drama und Musik zum Gesamtkunstwerk inspirieren. Für Wagner ist jedoch lediglich die Musik „ein Weib“, weil „die Natur des Weibes“ die Liebe ist, „aber diese Liebe ist die empfangene und in der Empfängnis rückhaltslos sich hingebende. Das Weib erhält volle Individualität erst im Momente der Hingebung. Es ist das Wellenmädchen, das seelenlos durch die Wogen seines Elementes dahinrauscht, bis es durch die Liebe eines Mannes erst die Seele empfängt.“ Demnach ist der musikalische, weibliche Organismus „ein nur gebärender, nicht aber ein zeugender“. Diese Aufgabe kommt allein dem Tondichter zu, der zu den „musikalischen Momenten“, den „Gefühlswegweisern“, als Ideenerzeuger hinzutritt, so dass das, welches – in Umkehr eines Diktums Voltaires – „nicht werth ist gesungen zu werden, […] auch nicht der Dichtung werth“ sei: „Die Musik ist die Gebärerin, der Dichter der Erzeuger.“ Wagner gelangt nach seinen Überlegungen zu dem Schluss, dass folglich auch der „Erzeuger des Kunstwerkes der Zukunft […] Niemand Anderes als der Künstler der Gegenwart“ sein könne, der „das Leben der Zukunft ahnt, und in ihm enthalten zu sein sich sehnt“. Diese Verwirklichung der Absicht eines Dichters ist dem Musiker nur möglich, wenn dieser „aus der Tiefe des Meeres der Harmonie zu dessen Oberfläche auftaucht, auf der eben die entzückende Vermälung des zeugenden dichterischen Gedankens mit dem unendlichen Gebärungsvermögen der Musik gefeiert wird.“ Erst mit diesem „erlösenden Liebeskuß jener Melodie wird der Dichter nun in die tiefen, unendlichen Geheimnisse der weiblichen Natur eingeweiht“.
 



[1]
Johannes Grützke, Richard Wagner bei seinen Müttern, 1982; geschabte Aquatinta auf Kupfer; 28,5 x 35,6 auf 60 x 54 cm; Auflage: 120; Verlag: Galerie Hartmann, München; Drucker: Rüdiger Preisler, Berlin; WDLG125. Siehe Ladengalerie (Hg.) (1998): Grützke Druckgraphik 1978-1998.
300,-€ zuzüglich Versandkosten.
[2] Vgl. R.Wagner: „Das Judentum in der Musik“, in: R.Wagner (1975): Die Kunst. 1869 veröffentlichte Wagner diesen Aufsatz stark erweitert erneut.
[3] Die folgenden Zitate sind R. Wagner (1869): Oper und Drama entnommen.


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3.         Wotan und der Ring des Nibelung[1]

Zu den altnordischen Sagen, welche die im 13. Jahrhundert auf altisländisch niedergeschriebenen Sammlungen der Edda besingen, gehört die Lieddichtung Völuspá oder „Der Seherin Gesicht“. Dort ist von Odin, dem höchsten Gott in der nordischen Mythologie, die Rede. Er ist identisch mit Wodan (oder Wotan), unter dessen Namen ihn die Germanenstämme der großen europäischen Völkerwanderung verehrten. Die Völuspá berichtet, wie Odin ein Auge Mimir, dem Wächter des Yggdrasil genannten Baumes der Weisheit, zu Pfand gab, um dafür einen Schluck aus der unterhalb von Yggdrasil entspringenden Urquelle zu erhalten. Sein Selbstopfer, das Walvater-Pfand, verlieh dem aus dem Göttergeschlecht der Asen stammenden Odin seherische Fähigkeiten.[2] In seinem Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ hat Richard Wagner diese Sagenwelt aufgegriffen. Dadurch unterscheidet sich sein Werk wesentlich von der bekanntesten deutschsprachigen Version der Sage, dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied.[3] Darin erzählt der unbekannt bleibende hochmittelalterliche Dichter, was ihm „in alten mæren wunders vil geseit“ ist. Dieses in der Versform der später so genannten vierzeiligen „Nibelungenstrophe“ überlieferte Heldenepos wurde erst Mitte des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt. Es kennt nachweislich historisch belegte Akteure der Völkerwanderungszeit, so etwa die Burgunder, den Ostgoten Theoderich den Großen (gest. 526), der als Dietrich von Bern auftritt, oder den Hunnenkönig Attila (gest. 453), der sich hinter der Gestalt König Etzels verbirgt. Nicht zuletzt deshalb eignete sich der Nibelungenstoff, freilich erst nach dem Zeitalter der Aufklärung im Zuge der Romantik und deutschnationaler Bestrebungen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dafür, in den Rang eines „Nationalepos“ erhoben zu werden. Wagners Ring-Opern „Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ können in Zusammenhang mit einem derartigen Zeitgeist gesehen werden. Gleich zu Beginn des ersten musikalischen Dramas „Rheingold“ tritt der „kühne Gott“ Wotan an Yggdrasil heran und opfert ein Auge, um die Macht der Weisheit zu erlangen – und nebenbei noch die strenge Sittengöttin und Ehehüterin Fricka zur Frau zu gewinnen. Der Faszination des mittelalterlichen Nibelungenlieds wie des gewaltigen Musikepos des „Rings“ hat sich der Altgermanist und Wagnerinterpret Peter Wapnewski Zeit seines Lebens nicht entziehen können.[4] Er hat sich beiden in vielen Forschungen gewidmet. Analog zu seiner Identifikationsfigur Wotan war es ihm aber nur mit einem Auge möglich, nachdem er – die endgültige Niederlage Deutschlands bereits 1943 im Blick – sein anderes in den Schrecken der Schlachten des Zweiten Weltkriegs verloren hatte: „Ich hatte wahrlich Glück. Während des wohl fünften Angriffs unserer Kompanie drang ein panzerbrechendes Geschoss in unser Gefährt und explodierte vor meinem Gesicht. Vermutlich die Ladung einer so genannten Panzerbüchse. Es drangen Dutzende von kleinen Splittern in meine linke Gesichtshälfte, - und in das Auge. Hätte ich den Kopf nicht zufällig nach rechts gehalten, wäre ich […] blind gewesen. […] Die Natur meiner Verwundung machten eine Reihe von Operationen nötig, alle dazu – letztlich vergeblich – angetan, das Auge zu retten […].“[5]




[1] Ausstellungsplakat „Wotan und der Ring des Nibelung“, Ladengalerie 1982. Siehe Ladengalerie Berlin (Hrsg.) (1998): Grützke Druckgraphik 1978-1998.
99 x 69,5 cm, 15,-€ zuzüglich Versandkosten
.
[2] Siehe Völuspá, 28 in der Übersetzung von F. Genzmer: Die Edda, 21f.: „Saß einsam draußen, als der Alte kam, der furchtbare Ase, und ins Auge mir sah: Was fragst du mich? Was forschst du bei mir? Ich weiß, Odin, wo dein Auge du bargst. Ich weiß Odins Auge verborgen in Mimirs Quell, dem märchenreichen; Met trinkt Mimir allmorgentlich aus Walvaters Pfand - wißt ihr noch mehr?“
[3] Das Nibelungenlied, nach dem Text v. Karl Bartsch u. Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übers. u. komm. v. Siegfried Grosse, Stuttgart 1997.
[4] Exemplarisch seien P.Wapnewski (1990): Deutsche Literatur des Mittelalters, zu Wagners Ring P.Wapnewski (1995): Weißt du, wie das wird...? genannt.
[5] P.Wapnewski (2005): Mit dem anderen Auge, S. 82, 88f.

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4.         Georg Elser beim Bau der Bombe, mit der er Hitler in die Luft sprengen wollte[1]

In mehreren Arbeiten hat Johannes Grützke den Hitlerattentäter Johann Georg Elser (1903-1945) gewürdigt. Der 1998 entstandene Druck „Georg Elser beim Bau der Bombe“ reiht sich in diese Folge ein.[2] Der handwerklich versierte Tischler Elser erfuhr 1938 von den Rüstungsplänen der Nationalsozialisten während seiner Arbeit für die Armaturenfabrik Waldenmaier in Heidenheim.[3] Sein Anliegen suchte er, mit Akribie zu verwirklichen: Nachdem er Ende 1938 den Bürgerbräukeller in München als geeigneten Ort für sein Vorhaben ausgemacht hatte, beschaffte Elser sich im Frühjahr 1939 den für das Attentat notwendigen Sprengstoff aus einem Steinbruch in Königsbronn, in welchem er gerade arbeitete.[4] Wie berechtigt seine Befürchtungen vor einem Krieg gewesen waren, zeigte der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Anfang September, etwa einen Monat nachdem Elser nach München gezogen war und begonnen hatte, seine Bombe zu bauen. Über dreißig Nächte ließ sich der Hitlerattentäter nach den Tanzveranstaltungen im Bürgerbräukeller einschließen. Die Bombe brachte er in einem selbst geschaffenen Loch einer tragenden Säule hinter dem Rednerpult an. Seine Höllenmaschine war minutiös konstruiert: von dem Stundenzeiger einer Uhr, an welchem Elser den Fortbewegungshebel befestigte, bis zu den spitz gefeilten Nägeln, die auf die gegenüberliegenden Patronenhülsen aufschlugen und durch diesen Aufschlag auf die Zündhütchen der Patronen die mit kleinem Abstand daran anschließend eingesetzten Sprengkapseln entzündeten. Als er am 6. November 1939 den Zünder aktivierte, konnte Georg Elser nicht wissen, dass Hitler zwei Abende später vor der auf eine Viertelstunde genau einstellbaren Zündung und dreizehn Minuten früher als vorgesehen die Rednerbühne verlassen hatte. Es kann als sicher gelten, dass der Anschlag, bei dem acht Personen starben, auch dem Führer des Dritten Reichs das Leben gekostet und dasjenige von Millionen anderer Menschen gerettet hätte. Sein Handeln begründete Elser nach seiner auf der Flucht erfolgten Verhaftung damit, dass nur noch ein Attentat auf Hitler „ein noch größeres Blutvergießen verhindern“ konnte. Gleichwohl rechtfertigte der bis 1933 treue Kommunistenwähler als bekennender protestantischer Christ seine Tat, die er unter Folter der Gestapo gestand: Er könne darin keine Sünde erkennen, die ihm ein Leben nach dem Tode verwehre, sondern er wollte mit dem Attentat Gutes erreichen. Georg Elser erwartete in einer Einzelzelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen bis kurz vor Kriegsende seinen Schauprozess. Als die deutsche Niederlage zum Jahreswechsel 1944/45 unabwendbar wurde, brachte man ihn nach Dachau, um ihn dort am 9. April 1945, rund einen Monat vor der deutschen Kapitulation, durch Erschießen zu ermorden. Erst Jahrzehnte nach Kriegsende fand eine historische Aufarbeitung der Geschichte des Hitlerattentäters Georg Elser statt, bis heute gibt es kein institutionalisiertes Gedenken an ihn.



[1] Johannes Grützke, Johann Georg Elser, 1998/1999; geschabte Aquatinta auf Kupfer; 85 x 110 cm auf 90 x 116 cm; Auflage: 30; Kupferdruckatelier Peter Kneubühler, Zürich; WDLGP352. vergriffen
[2] So zum Beispiel die Lithographie „Elser bei der Arbeit“ (1997); WDLG331. Siehe Ladengalerie Berlin (Hg.) (1998): Grützke Druckgraphik 1978-1998. Darüber hinaus mit einem Pastell, das Elser gemeinsam mit Charlotte Corday zeigt (2009), einer Porträtbüste Elsers in Bronze (2009) oder dem Gemälde „Unter der grünen Lampe“ (2010).
[3] Zu Elser vgl. P.Steinbach ... (Hrsg.) (1997): Georg Elser.
[4] Das Folgende nach Elsers Aussagen in L.Gruchmann (1970): Autobiographie.


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5.         Die ersten, die grundsätzlichen Knochenmänner[1]

Erst im 19. Jahrhundert gelang es der Chirurgie, sich vor allem aufgrund neuer Erkenntnisse über Hygiene sowie in der Anästhesie als vollwertig anerkannte medizinische Disziplin zu etablieren. Wie in jeder Fachrichtung waren Pioniere von Nöten, um geeignete technische Hilfsmittel zu entwickeln. Johannes Grützke hat vier dieser Wegbereiter in einer Lithographie versammelt: Codivilla, Hansmann, Küntscher und von Langenbeck. Der Italiener Alessandro Codivilla (1861-1912) ist vor allem für die operative Beinverlängerung bekannt. Zu diesem Zweck führte er am Bologneser Istituto Rizzoli eine Osteotomie durch, um anschließend durch Traktion mit Gewichten die gewünschte Extension zu erreichen. Erst mit dieser Methode kontinuierlicher Knochenverlängerung gelang es, Schaftbrüche ohne Verkürzung des Knochens zu behandeln.[2] Ähnlich bahnbrechend wie Codivillas Extensionsverfahren mit Fersenbeinnagel und Gipszugverband war für die Unfallchirurgie die von dem am Hamburger Allgemeinen Krankenhaus St. Georg praktizierenden Carl Hansmann (1852-1917) grundlegend entwickelte Plattenosteosynthese, die Hansmann erstmals 1883 vornahm. Auf ihn geht ebenso eine 1886 vorgestellte, damals vollkommen neuartige „Methode der Fixierung der Fragmente bei komplizierten Frakturen“ im Bereich der unidirektionalen Winkelstabilität zurück.[3] Der an der Göttinger Universität studierte Mediziner Bernhard von Langenbeck (1810-1887), seit 1848 Nachfolger Johann Friedrich Dieffenbachs an der Chirurgie der Berliner Charité, entwickelte eine Serie später nach ihm benannter Instrumente, darunter eine Knochen-Zange. Darüber hinaus ist er als Mitbegründer der Fachzeitschrift „Archiv für klinische Chirurgie“ (1860, heute: „Langenbeck’s Archive for Surgery“) sowie der „Berliner Medizinischen Gesellschaft“ (1860, gemeinsam mit Rudolf Virchow und Albrecht von Graefe) bekannt. Als Militärarzt war der 1864 preußisch geadelte Langenbeck in mehreren Kriegen eingesetzt, so auch während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, in welchem sein einziger Sohn Julius fiel. Später verhinderte er als behandelnder Arzt, dass der Deutsche Kaiser Wilhelm I. 1878 den Folgen des von Karl Eduard Nobiling verübten Attentats erlag.[4] Gerhard Küntscher (1900-1972) schließlich gilt als ein Vater der Marknagelung, nicht zuletzt wegen des von ihm erfundenen und nach ihm benannten Küntscher-Nagels, den das NSDAP-Mitglied (seit 1931) und der SA-Sanitäts-Standartenführer (1932) im März 1940 auf der 68. Tagung der Deutschen Gesellschaft in Berlin präsentierte.[5] Dieser half erstmals Komplikationen wie Thrombosen und Lungenembolien bei dem bei Brüchen mit Röhrenknochen angewendeten Verfahren weitgehend zu unterbinden. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt auch vor dem Hintergrund, dass die Marknagelosteosynthese im Zweiten Weltkrieg zur Behandlung entsprechender Kriegsverletzungen verstärkt eingesetzt werden musste.




[1]
2007, Lithographie, Kreide; 85 x 114 auf 99 x 129,5 cm; Auflage: 40; Verlag: Wolter / Grützke; Druck: Taborpresse ; WDLGP479. 1.800,-€ zuzüglich Versandkosten.
[2] Vgl. F.Hefti (2006): Kinderorthopädie, S. 21. F.Povacz (2000): Geschichte der Unfallchirurgie, S. 156f.
[3]
C.Hansmann (1886): „Eine neue Methode der Fixierung der Fragmente bei komplizierten Frakturen“. Dazu H.-G.Luhr (2000): „Entwicklung der modernen Osteosynthese“ und D.Wolter ... (2001): „Titanfixateur-interne Systeme mit multidirektionaler winkelstabiler Schraubenlage“.
[4] Vgl. M.Michler (1982): „Langenbeck, Bernhard von“.
[5] Vgl. K.-W.Ratschko, S.Mehs (2011): „Der andere Küntscher“ und L.Schroeder (2001): „Zum 100. Geburtstag von Professor Dr. Gerhard Küntscher“.


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Benutzte Literatur

[J.D.Crossan (1996): Jesus.] - John Dominic Crossan (1996): Jesus : ein revolutionäres Leben - Beck'sche Reihe; 1144 - München.

[Die Edda.] - Felix Genzmer (1997): Die Edda : Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen, 4. Aufl. der Sonderausg. - München.

[L.Gruchmann (1970): Autobiographie.] - Lothar Gruchmann (1970): Autobiographie eines Attentäters, Johann Georg Elser : Aussage zum Sprengstoffanschlag im Bürgerbräukeller, München am 8. November 1939 - Stuttgart.

[C.Hansmann (1886): „Eine neue Methode der Fixierung der Fragmente bei komplizierten Frakturen.“] - Carl Hansmann (1886): „Eine neue Methode der Fixierung der Fragmente bei komplizierten Frakturen.“ Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 15, S. 134-36.

[F.Hefti (2006): Kinderorthopädie.] - Fritz Hefti (2006): Kinderorthopädie in der Praxis : mit 120 Tabellen, 2., erw. u. vollst. überarb. Aufl. - Heidelberg.

[Ladengalerie Berlin (Hrsg.) (1998): Grützke Druckgraphik 1978-1998.] – Ladengalerie Berlin (Hrsg.) (1998): Johannes Grützke : Werkverzeichnis, Druckgraphik 1978-1998 - Berlin.

[H.-G.Luhr (2000): „Entwicklung der modernen Osteosynthese.“] - H.-G.Luhr (2000): „Entwicklung der modernen Osteosynthese.“ Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 4 (Suppl. 1), S. 84-90.

[U.Luz (2002): „Warum zog Jesus nach Jerusalem?“] - Ulrich Luz (2002): „Warum zog Jesus nach Jerusalem? Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung“. In: Der historische Jesus, hrsg. von Jens Schröter und Ralph Brucker - Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche : Beihefte - Berlin-New York, S. 409-27.

[M.Michler (1982): „Langenbeck, Bernhard von.“] - Markwart Michler (1982): „Langenbeck, Bernhard von.“ Neue Deutsche Biographie 13, S. 580-82 [Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11887490X.html].

[Das Nibelungenlied] - Siegfried Grosse: Das Nibelungenlied : mittelhochdeutsch - neuhochdeutsch - Reclams Universal-Bibliothek; 644 - Stuttgart (1997).

[F.Povacz (2000): Geschichte der Unfallchirurgie.] - Fritz Povacz (2000): Geschichte der Unfallchirurgie - Berlin [u.a.].

[K.-W.Ratschko, S.Mehs (2011): „Der andere Küntscher.“] - Karl-Werner Ratschko, Susanne Mehs (2011): „Der andere Küntscher: nicht nur Marknagelung und Anekdoten.“ Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt (05-2011), S. 56-63.

[Sa'adi: Der Rosengarten.] - Sa'adi: Der Rosengarten des Scheikh Musliheddin Sa'di aus Schiras, aus dem Persischen übers. v. Georg Heinrich Ferdinand Nesselmann – Berlin (1864).

[L.Schroeder (2001): „Zum 100. Geburtstag von Professor Dr. Gerhard Küntscher.“] - Ludwig Schroeder (2001): „Zum 100. Geburtstag von Professor Dr. Gerhard Küntscher.“ Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt (01-2001), S. 51-53.

[P.Steinbach, J.Tuchel, Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hrsg.) (1997): Georg Elser.] - Peter Steinbach, Johannes Tuchel, Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hrsg.) (1997): „Ich habe den Krieg verhindern wollen“ - Georg Elser und das Attentat vom 8. November 1939 : eine Dokumentation ; Katalog zur Ausstellung - Berlin.

[R.Wagner (1869): Oper und Drama.] - Richard Wagner (1869): Oper und Drama, 2. überarb. Aufl. – Leipzig.

[R.Wagner: Die Kunst.] - Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution; Das Judentum in der Musik; Was ist deutsch? hrsg. u. komm. v. Tibor Kneif – München (1975).

[P.Wapnewski (1990): Deutsche Literatur des Mittelalters.] - Peter Wapnewski (1990): Deutsche Literatur des Mittelalters : ein Abriß von den Anfängen bis zum Ende der Blütezeit, 5., bibliograph. erg. Aufl.. - Kleine Vandenhoeck-Reihe ; 1096 - Göttingen.

[P.Wapnewski (1995): Weißt du, wie das wird...?] - Peter Wapnewski (1995): Weißt du, wie das wird...? : Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen ; erzählt, erläutert und kommentiert - München.

[P.Wapnewski (2005): Mit dem anderen Auge.] - Peter Wapnewski (2005): Mit dem anderen Auge : Erinnerungen 1922-2000, vollst., v. Autor überarb. u. mit neuem Vorwort versehene Taschenbuchausgabe - Berlin.

[D.Wolter, C.Jürgens, M.Wenzl, u.a. (2001): „Titanfixateur-interne Systeme mit multidirektionaler winkelstabiler Schraubenlage.“] - Dietmar Wolter, Christian Jürgens, Michael Wenzl, u.a. (2001): „Titanfixateur-interne Systeme mit multidirektionaler winkelstabiler Schraubenlage.“ Trauma Berufskrankheiten 3 (Suppl. 4), S. 425-28.

© Urban Kressin 2011


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Johannes Grützke, Wotan, 1982; Offsetlitho; 61 x 50,8 auf 100 x 69 cm; Auflage: 100;
Verlag Ladengalerie Berlin; WDLG123.
300,-€ zuzüglich Versandkosten.

Urban Kressin, geboren 1978, Studium der Geschichte, Bibliothekswissenschaft und Altgermanistik in Berlin, Magister artium 2004, Stipendium der VolkswagenStiftung an der Universität Bielefeld, 2011 Promotion an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.






                        Johannes Grützke in der Hauptstadt